Kategorie: Der Klimajäger klärt auf
Das Powerdach – Gründach mit vertikaler PV
Andreas Jäger
veröffentlicht am 15.1.2025
Was jetzt? Sollen wir unsere Flachdächer begrünen, um Hitze und Regen zu kontrollieren oder sollen wir besser auf Flachdächern Strom ernten? Laut Prof. Bernhard Scharf löst sich das Problem aber mit einem einfachen Dreh wie von selbst: Die PV-Module einfach vertikal aufstellen statt hinlegen – und damit gleichzeitig Platz für die Wiese am Dach und für reiche Sonnenernte schaffen. Eine Idee aus der Schweiz, die international Schule macht.
In einem Interview mit dem Gründstadt-Guru Dip. Ing. Bernhard Scharf von der Universität für Bodenkultur Wien spricht Andreas Jäger (rechts im Bild) unter anderem über die Vorteile von grünen PV-Dächern. Bild: Gründa.
Prof. Bernhard Scharf (am Bild links) von der Universität für Bodenkultur in Wien ist einer der führenden Experten, wenn es um die grünen, klimatauglichen Städte der Zukunft geht. Seine Herzensangelegenheit ist Forschung, die im Alltag auch zur Umsetzung kommt. Gelungen ist das Scharf beispielsweise mit dem Startup „Greenpass“, das die Wirkung neuer Gebäude auf ihre Umgebung mit einem „digitalen Zwilling“ simulieren kann, noch bevor sie errichtet werden.
Grünes Dach oder grüner Strom?
Grüne Flachdächer spielen bei diesen Simulationen eine wichtige Rolle. Wenig überraschend hält Bernhard Scharf Gründächer für einen wesentlichen Schlüssel zur Abfederung von zunehmender Hitze und Starkregen. Aber gibt es da nicht ein anderes Problem? „Was ist mit Solarstrom?“, frage ich. „Müssen wir uns nicht bei jedem Flachdach zwischen grünem Dach und grünem Strom entscheiden?“ „Nein, gar nicht!“, antwortet Bernhard Scharf ohne zu zögern. Mit vertikal aufgestellten, bifazialen Modulen könne man kühlende Dachbegrünung mit grüner Stromernte am Dach verbinden, wie internationale Projekte zeigen würden.
Wer hat’s erfunden?
Die Vorteile der aufgestellten PV-Paneele am Flachdach sind beeindruckend. Thomas Baumann von der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) hat das schon 2018 im deutschen emw-Magazin ausführt: Auf einem Flachdach im Schweizer Winterthur wurde eine 9 kWp-Anlage mit vertikalen bifazialen PV-Paneelen in West-Ost-Orientierung aufgestellt und die Solarstromernte ausgewertet. Dabei sind drei Effekte zu Tage getreten.
Flachdach im Schweizer Ort Winterthur mit 9 kWp vertikale montierte und bifaziale PV-Module in West-Ost-Orientierung. Bild: ZHAW Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften.
Erster Effekt: mehr Stromernte an den Tagesrändern und dadurch mehr möglicher Eigenverbrauch
Etwas Wichtiges gleich vorweg: Punkto Gesamtertrag gibt es kaum einen Unterschied zwischen flachen und vertikalen Modulen - übers Jahr gesehen, liefern die bifazialen in West-Ost-Richtung vertikal aufgestellten Module annähernd die gleiche Strommenge wie eine klassisch nach Süden ausgerichtete, monofaziale Anlage.
Der wesentliche Unterschied zwischen flachen und vertikalen Paneelen ist die Stromernte im Tagesverlauf: Eine klassische nach Süden ausgerichtete Anlage liefert eine typische Glockenkurve mit dem Maximum um die Mittagszeit. Die Stromkurve der vertikalen Anlage gleicht dagegen mehr dem Rücken eines Kamels, mit zwei Maximas an den Tagesrändern und einem Minimum zu Mittag. Das hat einen großen Vorteil: Der Strom wird dann erzeugt, wenn er wertvoll ist, nämlich in der Früh und am Abend und nicht zu Mittag bei allgemeinem Solarstromüberschuss. Dadurch erhöht sich der Eigenverbrauch der Anlage in Winterthur zum Vorteil der 4-köpfigen Verbraucherfamilie.
Zweiter Effekt: mehr Stromernte im Winter durch Schneefreiheit und Reflexion an der Schneedecke
Vertikale Module lassen aber vor allem im Winter die Muskeln spielen. Durch die vertikale Aufstellung sind sie kaum von Schnee bedeckt. (Damit sie bei starkem Schneefall nicht in der Schneedecke verschwinden, sind die Module in der Versuchsanlage 40cm vom Dach abgehoben montiert.) Und: Die vertikalen Paneele lieben Schnee sogar, da der weiße Schnee Sonnenlicht auf die Module reflektiert und damit die Stromproduktion messbar verstärkt.
Mehr Ertrag durch aufgestellte Module im Winter: Zum einen werden die Paneele nicht von Schnee bedeckt und zum anderen wird Sonnenlicht auf die Paneele gestreut. Bild: Overeasy.
Einen spannenden Zusammenhang zwischen Reflexion und Bewuchs gibt es übrigens im Sommer: In der Natur schützen sich silberbelaubte Pflanzen vor der Sonne, im dem sie die brennenden Sonnenstrahlen reflektieren. Das kann man auch auf dem Gründach nutzen. In Winterthur erhöht eine silberbelaubte statt grünbelaubte Bepflanzung die Stromproduktion in den Sommermonaten um 17%.
Dritter Effekt: leichte Pflege des Gründachs
Ein in der Praxis wichtiger Effekt ist die leichte Pflege des PV-Dachs mit vertikalen Modulen. Da man sich gut zwischen den Reihen gut bewegen kann, sind Arbeiten am Dach schnell und praktisch durchführbar.
Fazit
Ein grünes Flachdach und grüner Solarstrom ergänzen sich perfekt. Mit vertikal aufgestellten Modulen wird das Gründach zum Powerdach: Die vertikalen, bifazialen Module erzeugen dann Strom, wenn man ihn braucht, an den Tagesrändern und im Winter – und die Bepflanzung in den Reihen dazwischen kann ungestört Hitze mildern und Starkregen puffern.