Vertikalbeete und Gründächer: Das echte "Smart Living"
Florian Jauk
veröffentlicht am 6.12.2023
Jürgen Herler ist eigentlich ausgebildeter Meeresbiologe. Als ihm bei seiner Tätigkeit in verschiedenen Meeren auffällt, wie verschmutzt dieses Ökosystem - auch durch Düngemittel aus der industriellen Landwirtschaft – ist, fasst er einen Entschluss: Er möchte Menschen eine einfache und ökologisch verträgliche Möglichkeit bieten, zuhause ihr eigenes Obst und Gemüse anzubauen.
2015 gründet er deshalb Herbios und produziert vollausgestatte Vertikalgarten-Systeme, die die Balkone und Haus-Außenwände seiner KundInnen in essbare Grün-Oasen verwandeln. Seitdem hat sich viel getan: Das Ein-Personen-Unternehmen ist gewachsen, die Vision bleibt aber die gleiche: Menschen zu ermächtigen, selbst ihre eigenen Lebensmittel zu produzieren. Auch in dicht bebauten Städten.
Im Gespräch mit Gründa spricht Herler über seine Motivation, die Verbindung von Vertikalgärten und Gründächern und erklärt, wie man Gebäude zu mehr als 100% entsiegeln kann.
Gründa: Jürgen, du bist ja ausgebildeter Zoologe bzw. Ökologe. Wie kam dein Interesse für den ökologischen Hausbau zustande?
Jürgen Herler: Ich habe Biologie studiert und war lange in der Meeresforschung tätig. Für mich waren Pflanzen zu der Zeit Dinge, die uninteressant in der Gegend herumstehen und kein Verhalten zeigen. Technik interessierte mich eigentlich auch nicht, aber ich arbeite gerne mit meinen Händen. Ein wichtiger Orientierungspunkt ist dabei auch mein ältester Bruder, der Architekt ist. Der Ausgangspunkt für das Interesse am ökologischen Bauen war, dass ich gesehen habe, dass es keine wirklich ökologischen Häuser gibt. Ich neige dazu mir selbst Lösungen zu suchen. Weil sie halt meistens nicht da sind, so wie es mir gefällt. Also habe ich unser Einfamilienhaus großteils selbst gebaut und beschäftige mich nach viel vor sehr viel mit den Themen ökologischer Hausbau und Wohnen.
"Wir gehen als GartenbesitzerInnen, oder Terrassen- und BalkonbesitzerInnen in den Supermarkt und kaufen uns Kräuter aus Kenia, während wir zuhause Flächen haben, die wir gar nicht nutzen. Eigentlich ein Wahnsinn!"
Wie kam es dann zur Idee des Urban Gardening?
Herler: Ich habe eine Permakultur-Ausbildung gemacht. Für mich waren biologische Landwirtschaft, ökologisches Wohnen und die ressourcenschonende Ernährung immer schon spannende Themen. Da geht es darum, einen Kreislauf zu schließen, wenige Ressourcen zu verbrauchen und mit dem zu arbeiten, was da ist. Ich habe mir gedacht: „Wir gehen als GartenbesitzerInnen oder Terrassen- und BalkonbesitzerInnen in den Supermarkt und kaufen uns Kräuter aus Kenia, während wir zuhause Flächen haben, die wir gar nicht nutzen. Eigentlich ein Wahnsinn!“ Viele Menschen haben einen Balkon, auf den sie das ganze Jahr nur den Wäscheständer stellen. Obwohl es relativ einfach wäre, mit ganz wenig Aufwand eine Begrünung zu installieren, die uns auch noch Lebensmittel liefert. Und das in einer Qualität, die man gar nicht im Supermarkt kaufen kann. Das ist eigentlich der Mehrwert.
2015 gründete der ausgebildete Meeresbiologe Jürgen Herler die Firma Herbios. Seitdem verkauft er Vertikalbeete, um Menschen einen niederschwelligen Ansatz zur Lebensmittel-Selbstversorgung in kleinem Stil näherzubringen. Bild: Christine Sonvilla.
Wie genau funktioniert das und wie groß sind eure Systeme?
Herler: Vertikalgärten sind vom her Aufbau einem Gründach ähnlich: Stell dir vor, du stellst ein Gründach um 90 Grad auf. Dann würde natürlich vorne die Erde rausfallen. Das tut sie bei uns aber nicht, weil wir außen Pflanztassen haben, die vorne eingehängt werden. In die mit Erde befüllten Beete, in denen vorne schräge Schüttkegel entstehen, setzen wir dann die Pflanzen ein.
Unser Standardmodell benötigt zirka 220 Liter Erde, ist einen Meter breit, 1,3 Meter hoch und zirka 30 Zentimeter tief. Auf dieser kleinen Fläche können KundInnen nahezu 50 Pflanzen anbauen. Und das, ohne in die Wand bohren zu müssen. Normalerweise bepflanzen wir also nur bis zirka Brusthöhe, die großen Pflanzen oben wachsen dann auch gerne bis auf Geschosshöhe. So können wir nicht nur Lebensmittel produzieren, sondern im Sommer auch einen Balkon begrünen und für ein gutes Mikroklima sorgen.
Welche Pflanzen wachsen in den Vertikalbeeten?
Herler: Eigentliche beinahe alle. Wir haben schon an die 100 Sorten gepflanzt. Auch schon kleine Apfel- und Kirschbäume. Natürlich ist die Auswahl der Pflanzen standortabhängig. Aber selbst an nordseitigen Balkonen kann man beispielsweise sehr gut Kräuter anpflanzen, selbst Wein und Tomaten wachsen hier, wenn es eine helle Umgebung ist. Vertikalbeete eignen sich eigentlich für jeden Standort, wir empfehlen aber ein paar Pflanzen wie Kartoffeln nicht, weil sie auch gut und günstig im Bioladen gekauft werden können.
In Vertikalbeeten können auf kleinen Raum überdurchschnittlich viele Pflanzen wachsen. Vor allem in Städten ist das ein effektiver und auch ressourcenschonender Zugang zur kleinflächigen Lebensmittelproduktion. Bild: Jürger Herler.
Was hältst du von Gründächern? Kann man Vertikalbeete und Detentionsdächer miteinander verbinden?
Herler: Ich halte sehr viel davon. Diesbezüglich experimentiere ich gerade und versuche herauszufinden, wie das am besten funktionieren könnte. Vor allem aufgrund des Aspektes, weil sich begrünte Detentionsdächer und Vertikalbeete das Wasser teilen müssen. Über das Jahr gesehen ist es immer die Frage, geht sich das dann beides aus? Ich bin überzeugt davon, dass es geht, wenn wir gute Substrate verwenden. So kann man Regenwasser am Detentionsdach speichern und die dortigen Pflanzen versorgen, aber auch über eine Leitung mit dem Vertikalbeeet verbinden.
"Es ist eine Lösung, bei der derzeit noch 90% der ArchitektInnen die Hände über dem Kopf zusammenschlagen, wenn sie hören, das Wasser soll am Gebäude bleiben. Wir können das aber tun, ohne biophysikalische Mängel zu erzeugen. Das System ist genau so simpel wie genial und für mich das eigentliche ‚Smart Living‘." - Jürgen Herler
Herler: Durch die Schwerkraft bräuchte man dann nicht mal eine Pumpe und spart schon wieder Ressourcen und Technik ein. Das ist das, was ich haben will. Und ich glaube das ist das, was ganz viele Menschen cool finden. Es ist eine Lösung, bei der derzeit noch 90% der ArchitektInnen die Hände über dem Kopf zusammenschlagen, wenn sie hören, das Wasser soll am Gebäude bleiben. Wir können das aber tun ohne biophysikalische Mängel zu erzeugen. Das System ist genau so simpel wie genial und für mich das eigentliche „Smart Living“.
Hast du auch ein Detentionsdach zuhause?
Herler: Ja, ich habe jetzt ein Detentionsdach im Miniformat mit einem vier Quadratmeter Beet. Das hat acht Zentimeter Wasser-Anstauhöhe und nur zehn Zentimeter Erde. Trotzdem habe ich es heuer geschafft diesen Gemüsegarten am Dach ohne Bewässerung über die Hitzeperiode zu kriegen. Und das bei extremen Hitzewellen. Ich finde es super, dass ich die Bewässerung eigentlich über diesen Saugvlies bewerkstelligen konnte. Wir reden hier von zehn Zentimeter Erde. Zehn Zentimeter, die normalerweise, wenn sie nicht gegossen werden, nach wenigen heißen Tagen keine Pflanzen mehr versorgen könnten.
Bei seinem eigenen Haus hat Herbios-Gründer Jürgen Herler ein Detentionsdach mit Vertikalbeeten verbunden.
Du sagst, man kann mehr als 100 Prozent einer Fläche mit Gebäudebegrünung entsiegeln. Wie funktioniert das?
Herler: Sagen wir, wir haben ein Gebäude, über das ein Dach ragt. Hier kann ich ja noch etwas an der Wand anbauen oder begrünen. Das Dach ist dann schon größer als die Grundfläche des Gebäudes. Das heißt begrünt wäre es schon mehr Fläche als das Fundament hat. Bei meinem Haus versiegelt das Gebäude unten am Boden 80 m², das Dach hat aber schon 140 m2 Fläche, die ich begrünen kann. Das heißt, wenn ich das Dach allein begrünen würde, hätte ich schon eineinhalbmal so eine Fläche wie die Grundfläche versiegelt. Jetzt kommt auch noch die Gebäudeoberfläche dazu, die man auch entsiegeln kann. Das ist die sogenannte „Canopy Structure“, so wie sie auch im Regenwald vorkommt. Wenn man den Regenwald von oben anschaut im Vergleich zu einer ganz ebenen Fläche wie einem Rasen, hat der Regenwald mehr als 100% Bedeckungsgrad. Weil unter dem hohen Kronendach kann auch ein kleinerer Baum und darunter noch ein Busch wachsen. Unter dem Busch kann auch noch Gras wachsen und so weiter. Beim Gebäude ist es ganz ähnlich. Man kann nicht nur die Dachfläche begrünen, sondern auch noch diese Außenflächen auf Balkonen oder Terrassen. Leichte Überdachungen fördern die Produktivität von Vertikalbegrünungen sogar.
Die Begrünungen brauchen natürlich Wasser. Das heißt, die Herausforderung wird sein, dass ein Dach, das das gesamte Regenwasser des Jahres sammelt, ausreichend Wasser zusammenbringt, um sich selbst plus die vertikalen Begrünungen zu versorgen. Wenn uns eigentlich die Hälfte dieses Wassers in der Jahresbilanz fehlt kann man sagen, wir haben doppelt entsiegelt. Denn wenn ich im Jahr zum Beispiel 500 Liter pro Quadratmeter an Niederschlag habe und wir bräuchten für alle Begrünungen aber 1000 Liter pro Quadratmeter heißt das wir haben 200% der Fläche entsiegelt. Und da Regenwasser optimal für Pflanzen ist und die Bewässerungssysteme schont, ist es viel zu wertvoll für den Kanal. Dort hat es nichts verloren.
Abschließend: Wie sieht deine Vision aus? Privat und mit deiner Firma.
Herler: Wir machen weiter wie bisher und sind für alle Leute da. Vom kleinen Balkon bis hin zu großen Terrassen und Hotels sowie Restaurants, die grüne Sitzgärten haben wollen. Ich habe auch einen tiefen ökologischen und sozialen Zugang zu dem Thema. Nämlich, dass ich ein Gebäude in eine lebende Oberfläche umwandeln will, die für mich nicht nur nutzbar ist und wo ich gute, gesunde Lebensmittel anbauen kann, sondern auch ökologischen und psychologischen Mehrwert hat. Außerdem habe ich die Vision das Einfamilienhaus zu ökologisieren. Und nicht so, wie man es jetzt auf Webseiten von sogenannten Ökohäusern versteht. Sondern so weit, dass das Einfamilienhaus auf einem kleinen Grundstück einen Großteil dessen zur Verfügung stellt, was die BewohnerInnen brauchen.
"Mein Ziel ist es, noch mehr Technik rauszunehmen, denn bekanntlich sind Perfektion und Ökologie dann erreicht, wenn man nichts mehr wegnehmen kann und trotzdem alles funktioniert." - Jürgen Herler
Herler: Leute mit 2000 Quadratmeter Garten fahren für jedes Gemüse, das sie brauchen, einkaufen. Man kann dafür nicht nur seinen Garten nutzen, sondern in meiner Vorstellung geht das noch viel weiter: Es ist nicht nur der Garten, in dem ich meine Lebensmittel anbaue, es ist das Gebäude selbst, das das leisten kann. Die Leute haben immer noch die Vorstellung von viel Aufwand bei der Gartenarbeit. Die müssten mal zu mir kommen. Ich muss zwei bis drei Mal im Jahr die richtigen Pflanzen nachsetzen und sonst nur ernten. Ansonsten mache ich gar nichts. Das reguliert sich mit sehr wenig Technik alles von selbst. Mein Ziel ist es, noch mehr Technik rauszunehmen, denn bekanntlich sind Perfektion und Ökologie dann erreicht, wenn man nichts mehr wegnehmen kann und trotzdem alles funktioniert.